Werden „Bekenntnisgemeinschaften“ in Österreich diskriminiert?


Der renommierte Wiener Verfassungsrechtler Heinz Mayer rechnet mit einer Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.


"Zeugen Jehovas" klagen in Straßburg

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat eine Klage der österreichischen Zeugen Jehovas zugelassen. Die Zeugen Jehovas, die seit 1998 als „Bekenntnis-gemeinschaft“ registriert sind, sehen sich gegenüber den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften benachteiligt.
 
Der Straßburger Gerichtshof prüft nun, ob eine Verletzung der Menschenrechte vorliegt. Ein Spruch des Gerichts wäre für Österreich bindend und müsste zu einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen für die Anerkennung von Religions-gemeinschaften führen.

Vorteile der anerkannten Religionsgemeinschaften
Die Anerkennung von Religions-gemeinschaften hat in Österreich eine Reihe von rechtlichen Folgen: vom schulischen Religionsunterricht über Gefängnis- oder Militärseelsorge bis hin zur Steuerbefreiung von Spenden. Bis 1998 erfolgte die Anerkennung auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 1874, das an sich recht liberal formuliert war.
 
Allerdings war nicht geregelt, wie die Behörde – konkret das Kultusamt im Unterrichtsministerium – mit dem Antrag einer religiösen Gruppierung umzugehen hat. Und das führte zu dem Zustand, den der Rechtsvertreter der Zeugen Jehovas, Reinhard Kohlhofer, am Mittwoch im Ö-1-Mittagsjournal so beschreibt: „Wenn jemand einen Antrag auf Anerkennung stellte und alle Unterlagen vorlegte, so wurde in der Regel ein solches Ansuchen einfach ignoriert. Er erhielt nicht einmal eine Antwort“.

Bekenntnisgemeinschaften diskriminiert?
Nachdem der Verfassungsgerichtshof 1995 das Recht der Antragsstellers auf eine Entscheidung der Behörde festgestellt hatte, beschloss der Nationalrat 1998 ein Gesetz über religiöse Bekenntnisgemeinschaften. Diese besitzen nun zwar Rechtspersönlichkeit, nicht aber die besonderen Vorteile anerkannter Religionsgesellschaften. Der Professor für Verfassungsrecht an der Universität Wien, Heinz Mayer, hat das Bekenntnisgemeinschafts-Gesetz immer schon für problematisch gehalten: „Die einen voll anerkennen, den anderen nur einen minderen Status gewähren – das ist eine klare Diskriminierung“.

Bevorzugung der bestehenden Religionsgesellschaften
Außerdem wurde in dem Gesetz festgeschrieben, dass Bekenntnis-gemeinschaften erst nach 10 Jahren die volle staatliche Anerkennung erhalten können und mindestens 0,2 Prozent der Bevölkerung Mitglieder sein müssen. Dazu Mayer: „Wenn man die bisher anerkannten Religionsgesellschaften ansieht – das sind zwölf -, dann haben nur vier mehr als 16.000 Mitglieder. Also acht der derzeit schon bestehenden anerkannten Religionsgesellschaften könnten nach der neuen Rechtslage gar nicht mehr anerkannt werden. Die bleiben aber natürlich anerkannt, nur neue dürfen nicht mehr zugelassen werden. Und das ist ja offenbar in der Absicht geschehen, dass man unter sich bleibt, dass man keine neuen gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften mehr will.“

Gute Chancen für Klage
Mayer räumt der Klage der Zeugen Jehovas beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte deshalb auch gute Erfolgschancen ein: „Die Tatsache, dass die Beschwerde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit sehr ausführlicher Begründung angenommen wurde, signalisiert schon, dass der Europäische Gerichtshof für Menschen-rechte die Bedenken zumindest sehr ernst nimmt und – wie man so sagt – offenbar davon ausgeht, dass da etwas dran ist. Auch wenn man die bisherige Judikatur des EGMR in dieser Frage betrachtet, muss man wohl zum Ergebnis kommen, dass hier sehr gute Aussichten bestehen, dass er Österreich verurteilt.“

Bei Verurteilung muss Österreich Gesetz ändern
Eine solche Verurteilung wäre für Österreich rechtlich bindend – d. h. das Gesetz über die Anerkennung von religiösen Bekenntnisgemeinschaften müsste geändert werden. Darum geht es auch dem Rechtsvertreter der Zeugen Jehovas, Reinhard Kohlhofer, der auf Deutschland und andere europäische Länder hinweist, in denen es schon bisher objektive Anerkennungsverfahren für Religionsgemeinschaften gegeben hat: „Österreich soll – wie jeder andere Rechtsstaat auch – auf einem sachlich nachvollziehbaren Weg ordentlich über Anerkennungen entscheiden und das würde dann die Religionsfreiheit aller Österreicher wieder herstellen.“
 
Eine Entscheidung des Europäischen Menschengerichtshofs wird übrigens frühestens in einem Jahr erwartet.
 
Weitere News zum Thema:
- 18. 7. 05: "Jehovas Zeugen" haben Österreich bei Menschenrechts-gerichtshof geklagt